A. Franc: Von der Makroökonomie zum Kleinbauern

Cover
Titel
Von der Makroökonomie zum Kleinbauern. Die Wandlung der Idee eines gerechten Nord-Süd-Handels in der schweizerischen Dritte-Welt-Bewegung (1964-1984)


Autor(en)
Franc, Andrea
Erschienen
Berlin 2020: De Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten
XI, 274 S.
Preis
€ 49,95
von
Patricia Hongler

Wer heute im Supermarkt ein regionales Agrarprodukt kauft, wird bisweilen mit der Fotografie einer lächelnden Bäuerin auf der Verpackung belohnt. Schon länger bekannt sind solche Bilder von der Vermarktung exotischer Fair-Trade-Produkte. In ihrem Buch erklärt Andrea Franc, wie es zur ideellen Verknüpfung von kleinbäuerlichen Produzenten im globalen Süden und im schweizerischen Inland kam.

Das Buch basiert auf Francs Habilitationsschrift und ist in fünf Kapitel gegliedert. Die Autorin zeichnet den ideengeschichtlichen Wandel nach, welchen die schweizerische Dritte-Welt-Bewegung zwischen 1964 und 1984 vollzog. Sie fokussiert auf die NGO Erklärung von Bern (EvB, seit 2016 Public Eye), deren Vergangenheit bereits Gegenstand mehrerer Arbeiten gewesen ist.1 Francs Absicht ist es, vor dem Hintergrund der entstehenden Fair-Trade-Bewegung eine intellectual history der EvB zu erarbeiten. Dabei bezieht die Autorin von Beginn weg klar Position: So schreibt sie in der Einleitung, dass die ab den 1970er-Jahren erfolgte Ausgrenzung Afrikas aus dem Welthandel fatal gewesen sei. Anstatt den Handel mit den Entwicklungsländern zu intensiveren, habe der Westen die eigene Landwirtschaft mittels neoprotektionistischer Massnahmen abgeschottet. In diesem Prozess – so Francs These – spielte die schweizerische Dritte-Welt-Bewegung rund um die EvB eine unrühmliche Rolle.

Die EvB geht auf ein gleichnamiges Manifest aus dem Jahr 1968 zurück. Über tausend Personen aus dem theologischen Milieu forderten darin unter anderem eine Reform des Welthandels zugunsten der Entwicklungsländer. Diese sollten künftig gerechte Preise für ihre Waren erhalten. Damit orientierten sich die Initianten der EvB explizit an den Thesen des argentinischen Ökonomen Raúl Prebisch. Dessen Überlegungen zu den terms of trade waren 1964 an der ersten UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNC-TAD) einer breiten Öffentlichkeit präsentiert worden. In den frühen 1970er-Jahren ging die Federführung bei der EvB in die Hände junger AktivistInnen aus der 68er-Bewegung über. Wie Franc betont, orientierten auch sie sich zunächst an Prebischs Thesen. Beeinflusst von wachstumskritischen Strömungen gewann aber schon bald die Umweltthematik an Relevanz. Anstatt wie bisher den Aufbau von Industrien in den Entwicklungsländern zu fordern, schuf man seitens der EvB ab Mitte der 1970er-Jahre eine «eigene, paraakademische Doktrin» (S. 112). Diese besagte, dass die Entwicklungsländer auf ihrem Weg zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung unterstützt werden sollten. Dabei postulierten die AktivistInnen eine Interessensgemeinschaft zwischen Kleinbauern im globalen Süden und Kleinbauern im schweizerischen Inland, die jeweils vor den Kräften des Marktes geschützt werden sollten.

Franc geht mit den ExponentInnen der Dritte-Welt-Bewegung hart ins Gericht. Sie wirft ihnen unter anderem fehlendes Fachwissen (S. 95), Selbstgerechtigkeit (S. 111), zunehmende Ideenlosigkeit (S. 212) sowie einen Mangel an Selbstreflexion (S. 128) vor. Vor allem aber konstatiert sie einen Verrat an den Interessen der Entwicklungsländer, deren Anwälte die AktivistInnen doch zu sein vorgaben (S. 4). Die ersten vier Kapitel sind geprägt von einer eigentlichen Empörung über die Abkehr der Bewegung von ihren ursprünglichen Forderungen. Die hinter dem Wandel stehenden historischen Hintergründe und Sachzwänge werden erst in Kapitel 5 systematisch beleuchtet.

Francs Analyse lenkt den Blick auf wichtige Widersprüche, die den Ideen der DritteWelt-Bewegung inhärent waren: Mit der neuen Leitfigur des Kleinbauern bewegten sich die linksgrünen AktivistInnen in die Nähe nationalkonservativer Kräfte, die ebenfalls das Landleben sowie kleinräumige und traditionelle Produktionsweisen idealisierten. In den von der Bewegung betriebenen Drittweltläden wurden denn auch keine industriell gefertigten Güter aus Entwicklungsländern verkauft, sondern klassische Kolonialprodukte wie Kaffee oder Zucker. Auch gedanklich näherte sich die Bewegung mit ihrem Bild des statischen Landbauern einer kolonial anmutenden Vorstellung von Menschen in Entwicklungsländern an. Andere Kritikpunkte Francs überzeugen weniger. Dies gilt insbesondere für den wertenden Befund, die frühen AktivistInnen der EvB hätten den freien Markt sowie Privatinvestitionen im Süden als Entwicklungsinstrumente ursprünglich gutgeheissen,[2] sich später aber bedauerlicherweise von den Lehren der akademischen Ökonomie entfernt. Ökologische Überlegungen werden mittels dieser Deutung als zweitrangig, teils auch als unwissenschaftlich abgetan. Die Autorin kritisiert zudem, dass sich die schweizerische Dritte-Welt-Bewegung bei politischen Geschäften wiederholt in eine «unheilige Allianz» mit der nationalen Rechten begeben habe. Diese wird aufgrund des präsentierten Materials aber nicht immer evident. Alles in allem hat Franc einen anregenden, wenn auch argumentativ etwas eng geführten Beitrag zur jüngeren Schweizer Geschichte vorgelegt.

1 Zum einen haben damals Beteiligte ihre Erinnerungen niedergeschrieben, zum anderen liegen mehrere historische Forschungsarbeiten zur EvB vor, vgl. Anne-Marie Holenstein, Regula Renschler, Rudolf Strahm, Entwicklung heisst Befreiung. Erinnerungen an die Pionierzeit der Erklärung von Bern (1968–1985), Zürich 2008; Monica Kalt, Tiersmondismus in der Schweiz der 1960er und 1970er Jahre. Von der Barmherzigkeit zur Solidarität, Bern 2010; Konrad J. Kuhn, Entwicklungspolitische Solidarität. Die Dritte-Welt-Bewegung in der Schweiz zwischen Kritik und Politik (1975–1992), Zürich 2011.
1 Die Aussage steht auf dünner Quellenbasis. Sie beruht auf einem Entwurf der späteren Erklärung von Bern, in dem Investitionen der Schweizer Privatwirtschaft als «Leistung» bezeichnet wurden (vgl. S. 49). Die Stelle ist allerdings als ironische Formulierung lesbar. Auch die Werbebotschaft der AktivistInnen, wonach der 1973 vertriebene Ujamaa-Kaffee aus Tansania billiger sei als handelsüblicher Kaffee (vgl. S. 113 f.), muss nicht zwingend als ein Plädoyer für den freien Markt gedeutet werden.

Zitierweise:
Hongler, Patricia: Rezension zu: Franc, Andrea: Von der Makroökonomie zum Kleinbauern. Die Wandlung der Idee eines gerechten Nord-Süd-Handels in der schweizerischen Dritte-Welt-Bewegung (1964–1984), Berlin 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (1), 2022, S. 179-180. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00102>.

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